Auf dem Weg zur digitalen Augenheilkunde? DOG-Digitalexpertin Prof. Nicole Eter im Interview

Prof. Eter stellt das Projekt oregis bei der DOG 2023 vor

Als Präsidentin der DOG 2017/2018 hat Professor Dr. Nicole Eter die Digitalisierung in der Augenheilkunde in den Mittelpunkt gestellt. Sie hat oregis, das digitale Register in der Augenheilkunde, federführend auf den Weg gebracht. Auch nach ihrer Amtszeit arbeitet die Direktorin der Uni-Augenklinik Münster kontinuierlich weiter an dem Thema, unter anderem als Sprecherin der AG DOG-Informationstechnologie in der Augenheilkunde. Im Interview erzählt sie, wie sie den Stand der Digitalisierung im deutschen Gesundheitswesen aktuell bewertet.

Frau Professor Eter, fünf Jahre nach Ihrer Präsidentschaft: Wie digital würden Sie das Gesundheitswesen und die Augenheilkunde heute auf einer Skala von eins für total analog bis zehn für absolut digitalisiert bewerten? Welches sind die dringendsten Baustellen?

Professor Eter: Ich finde das Gesundheitswesen in Deutschland im europäischen Vergleich noch immer nicht sehr digital. Auf einer Skala von eins bis zehn würde ich uns eher eine Zwei geben. Seit Jahren wird über die Einführung einer elektronischen Patientenakte (ePA) diskutiert, aber dies aus Datenschutz-Bedenken immer wieder verschoben. Wichtig finde ich, dass Patienten ihre Daten einsehen können und dass diese Daten mit Zustimmung der Patienten auch für Versorgungsforschung zur Verfügung stehen.

Ein weiterer Punkt ist die Datentransparenz: Über stationäre Eingriffe haben wir derzeit in Deutschland zwar einen ganz guten Überblick anhand der Daten, die die Krankenhäuser nach § 21 Krankenhausentgeltgesetz übermitteln. Eine Übersicht im ambulanten Bereich fehlt aber völlig und hier wird auch primär die ePA keine Lösung sein. Andere Länder, wie etwa die nordischen Länder, führen bereits seit Jahren nationale Register und haben so einen viel besseren Überblick über den Gesundheitszustand ihrer Bevölkerung.

Noch immer gibt es Augenabteilungen in Kliniken, die keine komplett digitale Befunderhebung und Dokumentation verwenden. Das finde ich in der heutigen Zeit nicht mehr angemessen. Bereits bei oregis haben wir gelernt, Kerndatensätze in der Augenheilkunde zu definieren. Dies sollten wir für die kompletten Strukturen in der Augenheilkunde erweitern. Wichtig ist dabei, dass die digitalen Akten unterschiedlicher Anbieter interoperabel sind und bestimmte Datenfelder vorgegeben werden, sodass die eingetragenen Informationen auch später für Auswertungen zur Verfügung stehen.

Das oregis-Register zielt darauf ab, die Patientenversorgung mit digitalen Mitteln zu verbessern – eines Ihrer zentralen Anliegen. Wo steht oregis heute?

Mit oregis haben wir es geschafft, ein nationales Register für Augenheilkunde aufzubauen. Nach ausführlichem Datenschutzkonzept, das wir mit der Technologie- und Methodenplattform für die vernetzte medizinische Forschung (TMF) in Berlin erarbeitet haben, sowie Einholung von Ethikvoten speisen mittlerweile mehrere Testkliniken und Praxen ihre Daten automatisiert in oregis ein. Oregis kann Daten anonymisiert und pseudonymisiert erfassen. Derzeit sammeln wir anonymisierte Daten, sodass wir noch keine Patienteneinwilligung brauchen. Wir hatten uns vorgenommen, automatisierte Konnektoren zu den fünf größten Praxisverwaltungssystemen zu etablieren. Mit Fidus ist uns dies gelungen; jede Praxis, die Fidus nutzt, kann sich mit einem einfachen Klick an oregis anschließen. Der IFA-Konnektor ist noch nicht vollständig angeschlossen. Hier müssen aktuell noch die Datenfelder der IFA-Akte mit oregis verknüpft werden. Mit den weiteren drei großen digitalen Akten Duria, TurboMed und Medistar sind bereits erste Gespräche gelaufen.

Erfreulicherweise sind wir nun imstande, erste Auswertungen aus oregis ziehen zu können. Eine erste Grundlagenpublikation ist erschienen (abrufbar über den QR-Code), zwei weitere mit Thema „Myopieentwicklung unter Covid“ und „IVOM-Auswertungen“ sind zur Publikation eingereicht. Der Traum von 2018 ist also Wirklichkeit geworden und wir haben die technischen Hürden eines Registers für Augenheilkunde gemeistert! Die ersten Schritte sind getan, jetzt kommt es darauf an, dass sich möglichst alle Kliniken und Praxen in Deutschland oregis anschließen.

Forschung mit Gesundheitsdaten von Patientinnen und Patienten steht auch im Mittelpunkt des Gesundheitsdatennutzungsgesetzes (GDNG), das Bundesgesundheitsminister Lauterbach im Sommer 2023 vorgestellt hat. Ist der Entwurf aus Sicht der DOG ein Schritt in die richtige Richtung?

Das GDNG soll Gesundheitsdaten für die Forschung verfügbar machen. Das Gesetz erleichtert die Nutzbarkeit von Gesundheitsdaten für gemeinwohlorientierte Zwecke. Dazu wird unter anderem eine dezentrale Gesundheitsdateninfrastruktur mit einer zentralen Datenzugangs-und Koordinationsstelle für die Nutzung von Gesundheitsdaten aufgebaut. Hierbei werden erstmalig Daten aus verschiedenen Datenquellen miteinander verknüpft. So kann zum Beispiel ein Patient seine Daten aus der ePA durch ein Opt-out-Verfahren freigeben. Das heißt, man hätte dann wirklich einmal eine deutschlandweite gute Datenlage aus verschiedenen Quellen. Ich halte das für einen sehr guten Schritt.

Hand in Hand mit dem GDNG geht das Digital-Gesetz (DigiG), das mit der elektronischen Patientenakte (ePA) als zentralem Element die Versorgung digitalisieren soll. Welches Potenzial sehen Sie hier?

Das DigiG soll zur Beschleunigung der Digitalisierung im Gesundheitswesen beitragen. Kernbestandteile sind die ePA, die Weiterentwicklung des E-Rezeptes, die mit der ePA einhergehende digitale Medikamentenübersicht, digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) sowie die Telemedizin, die fester Bestandteil der Gesundheitsversorgung werden soll. Ein Digitalbeirat soll künftig die gematik bei allen Fragen zu Datenschutz, Datensicherheit und Datennutzung beraten. Gerade für ein sehr spezialisiertes Fach wie die Augenheilkunde ist es von ungemeinem Nutzen, eine zuverlässige Übersicht über die Vorerkrankungen sowie derzeitige Medikamente eines Patienten zu bekommen. Aktuell ist es noch sehr mühsam, insbesondere bei betagten Patienten, vor operativen Eingriffen diese Informationen alle zusammenzutragen. Eine solche Digitalisierung würde uns unseren Alltag enorm erleichtern.

Wenn wir noch einmal fünf Jahre in die Zukunft schauen: Was würden Sie sagen, wo das Gesundheitswesen beim Thema Digitalisierung im Jahr 2028 steht?

Ich hoffe, dass wir in den kommenden Jahren weitere große Sprünge in der Digitalisierung im Gesundheitswesen erleben werden. So ließe sich die medizinische Versorgung deutlich besser steuern, Transparenz würde medizinische Versorgungslücken aufzeigen und der Zugriff der Patienten auf ihre Gesundheitsakten würde das Patienten-Empowerment unterstützen. Ich hoffe, dass Deutschland diese Chance nutzt und diesen nun einmal eingeschlagenen Weg konsequent weitergeht.

Die Durchführung des Projekts oregis erfolgt mit freundlicher Unterstützung der Bayer Vital GmbH, der Biogen GmbH und der Novartis Pharma GmbH. Weitere Informationen finden Sie auf der Homepage www.oregis.de.